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Harald Hartl: Einmal Jenseits und retour

Einmal Jenseits und retour

„Schmatz doch nicht so!“, herrschte ich Robert an, der seinem ungezügelten Appetit lautstark freien Lauf ließ. Schon war er eingeschnappt. Ein sehr sensibler Junge, mein Robert, dachte ich und vertiefte mich wieder in die Morgenzeitung.

 „Schon wieder ein Raubüberfall in unserer Stadt“, murmelte ich in Richtung Klara, die sich ihre offensichtlich gute Laune aber nicht durch Bad News verderben lassen wollte. Sie nickte beiläufig und bestrich ihr Brot dick mit köstlichem Honig von einem uns bekannten Bauern mit eigener Bienenzucht.
Ob sie noch süßer werden will, dachte ich, wollte diese Frage aber nicht vor den pubertierenden Kindern an Klara richten.
Vieles blieb unausgesprochen. Nicht nur an diesem Samstag, sondern in all den Tagen, Wochen und Jahren. Vieles. Leider!

Warum schauen sich Klara und Tina so komisch an, fragte ich mich stumm und beobachtete die beiden eine Weile. Sie benahmen sich wie zwei kindische Freundinnen, zwinkerten einander zu und hatten dem Anschein nach eine geheime Zeichensprache entwickelt.
„Darf man teilhaben an eurer stummen Geheimkonversation?“, fragte ich nach einiger Zeit in Richtung Klara. Das Gefühl, aus ihrer Geheimniskrämerei ausgeschlossen zu sein, beendete abrupt meinen eben noch vorhandenen Appetit.
„Frag jetzt!“, ermunterte sie Tina. Robert schüttelte den Kopf und ersuchte, ob er aufstehen und das Frühstück beenden dürfe. Schon verließ er im Laufschritt den Raum in Richtung seines Zimmers.
„Du Papa“, kam es mit einem gekonnten Augenaufschlag und gekünsteltem Lächeln von Tina. „Darf ich heute bei Lisa übernachten?“
Lisa war ihre frühreife, mit Lippenstift und Makeup dick bemalte Freundin, deren Brüste so manches erwachsene Mädchen vor Neid erblassen ließen.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass Lisa kein Umgang für dich ist! Du willst es wohl nicht einsehen. Ich kann dir den Umgang mit ihr nicht verbieten, das weiß ich. Aber mit dreizehn Jahren über Nacht wegbleiben, dazu noch mit einer frühreifen Lolita, das halte ich für übertrieben. Sei mir bitte nicht böse, aber NEIN!“ Tinas Gesichtszüge verfinsterten sich in Sekundenbruchteilen. Zwischen Stirn und Nasenwurzel gruben sich unübersehbar zwei senkrechte, tiefe Zornesfalten. Mit dreizehn! Sie warf mir ihren finstersten Blick zu.
„Letztes Wort?“, kam es unfreundlich und beleidigt fragend von ihr, bevor sie ohne meine Antwort abzuwarten, fauchend den Raum verließ.
„Warum unterstützt du unsere Tochter bei solchen Geschichten?“, fragte ich Klara.
„Du hast vergessen, dass auch wir einmal so jung waren und was ist schon dabei, wenn sie bei ihrer Freundin übernachtet?“
Nach einigen Minuten, in denen wir unsere völlig konträren Meinungen unverrückbar und konsequent vertreten hatten, beendete ich die Debatte unter dem Vorwand, meine Sporttasche packen zu müssen.
Das war das Ende unseres idyllischen Frühstücks an diesem Samstag, der so nicht hätte enden müssen.
Nicht hätte enden dürfen! Kurz darauf verließ ich mit der Bemerkung, noch in die Firma zu fahren, unser Haus. Dieses Mal sogar, ohne Klara beim Abschied ein Küsschen zu geben.

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